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Der Patchwork-Lebenslauf der Barbie
oder
New Market Economy for Kids

aus dem Nähkästchen geplaudert

mein persönlicher Hintergrund zur Entstehung der
„Outfits für die Künstlerinnen-Barbie“

Die Künstlerinnen-Barbie entdeckte meine Künstlerin-Kollegin Helga Broll eines morgens beim flanierenden Shoppen in der Hamburger Filiale einer US-amerikanischen Supermarktkette. Das war irgendwann im Laufe des Jahres 2000.

Das Jahr 2000, das war die Zeit des Booms der neuen Medien, der jungen, aufstrebenden kreativen Klasse. In Deutschland hieß das auch „Ich-AG“. Da wird Barbie nicht nur 40 – Mattel markiert das Datum mit einer neuen Serie,

…………… den „Generation Girls":

…… Das ewige Teenage Fashion Model wird Künstlerin.

„With the new millennium just around the corner, Generation GirlTM Barbie® took on a new sassy, edgy, street-fashion look.“,

hieß es auf der Website von Mattel.

Und doch mutet Mattels 1999er Künstlerinnenmodell beachtlich traditionell an. Zur Ausstattung der Puppe gehören Farbkasten, Malkittel und Staffelei und … auf kleinen Pappkärtchen …  eine Reihe angefangener Malereien. Deren Motive erinnern entfernt an die Meister der französischen Moderne: Le Tour d’Eiffel à la Delaunay, eine kubistischen Katze in der Farbpalette der Demoiselle und miniaturisierte monet’sche Seerosen. Damit würde Barbie im 21. Jahrhundert an keiner Kunsthochschule angenommen, geschweige denn am zeitgenössischen Kunstmarkt bestehen.


Die Idee zu den „Outfits“ kam Helga Broll (die übrigens aus ihrer Kindheit einen ganzen Schrank voller Barbiepuppen und -kleider hatte) und mir gemeinsam, sozusagen im Spiel mit den Barbies. Die Grundidee der „Outfits für die Künstlerinnen-Barbie“ war es – im Sinne eines diskursiven object trouvés – Mattels originäres Barbie-Prinzip zu adaptieren. Sollen doch immer neue Outfits und Accessoires immer neue Rollenmodelle sprich Identifikations(oder Kauf-?)anreize bieten.


Meine Miniaturschnittmuster

 

In meiner Generation teilten sich die Mädchen in jene, die Barbies zu Hause hatten, jene, deren Mütter die sexuell aufgeblasenen US-Plastik-Modepüppis nicht erlaubten und jene, die sie sich heimlich vom Geburtstagsgeld der Oma selbst kauften. Auch wenn es danach Streit zu Hause gab, das nächste großelterliche Geburtstagsgeld gab es schon Weihnachten. So ersann der Spielzeugmulti Mittel und Wege, das Begehren immer wieder neu zu entfachen. 

Selbst hatte ich in meinen ganz jungen Jahren zu der Gruppe Mädchen gehört, die keine Barbie haben durfte.  Nach langen Verhandlungen konnte sich schließlich eine kleine Familie ihrer jüngeren, tittenlosen und plattfüßigen Geschwister auf leer geräumten Regalborden der germanistischen Bibliothek meiner Mutter einrichten, die aus Platzgründen (aber vielleicht nicht ganz ohne Hintersinn) teilweise in meinem Kinderzimmer stand. In einer Hinsicht blieb meine Mutter beharrlich: Es wurden keine dieser überteuerten, schlecht gearbeiteten zusätzlichen Plünnen gekauft. Sie gab mir Nadel und Faden und eine Schachtel mit Stoffresten. Eine Freundin gab es, mit der ich ganze Nachmittage nähend verbrachte.


Re-Inszenierung meiner Barbie-Familie in der
germanistischen Bibliothek, heute auf meinem Dachboden


Arbeit an der Wiegendecke für die "Sonia Delaunay-Barbie"

 

Meine „Outfits“ sind eine wachsende Serie von Schaukästen, jeder einzeln in sich geschlossen wie ein Accessoire-Kit von Mattel. Die Vorbilder sind namhafte Künstlerinnen, die für meine eigenen künstlerischen Wege bedeutsam und inspirierend waren. Für jede produziere ich ein Kleidungsensemble in Original-Barbiegröße und reproduziere eine ihrer bedeutenden Arbeiten en miniature. Portraitaufnahmen aus Katalogen dienen als Vorlagen. Bei den Künstlerinnen, die sich hartnäckig weigern, sich in solchen Zusammenhängen abbilden zu lassen, werde ich mitunter in einer Kunstzeitschrift fündig.


Durch diese Recherchearbeit entsteht eine zusätzliche Bedeutungsebene: Die Schaukästen zollen nicht nur den Künstlerinnen Tribut, denen es gelungen ist, sich mit ihrem Schaffen in die Kunstgeschichte und die Kunstwelt einzuschreiben, sie geben auch Aufschluss über Formen der Selbstdarstellung und Repräsentation bei Künstlerinnen. Gerade in ihrer Reihung entfalten die Schaukästen diesbezüglich ihre besondere Wirkung. 
Die „Outfits“ sind eine langsam und stetig wachsende work in progress. Da ich die Künstlerinnen wähle, die für mich in ihrer jeweils eigenen Weise von Bedeutung für meine eigene künstlerische Entwicklung sind, bleibt das Ende der Reihe offen.



 

 

 

 

 

 

 

 

 



Frankfurter Rundschau, 10./11. März 2018


   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gleich bei ihrer Erstvermarktung im Jahr 1959 hatte es für Barbie eine ganze Reihe zusätzlicher Kleider bis hin zur Unterwäsche und so lehrreichen Accessoires wie „an apple a day …“ gegeben. Die Zielgruppe „Mädchen“ konnte so ganz spielerisch das komplexe und geheimnisvolle Universum der Weiblichkeit erkunden.

Schon 1961 startete Barbie in der Berufswelt durch. Seitdem schreibt sie an einem wahrhaft beneidenswerten Patchwork-Lebenslauf: Nach ihrer initialen Berufung als „Teenage Fashion Model“ wurde sie schon 1960 Fashion Editor, dann Ballerina, Krankenschwester, Stewardess und Mitte der 1960er Jahre Student teacher, um sich dann ein Beispiel an Valentina Tereshkova, der ersten Astronautin, zu nehmen und zeitgleich mit den US-Amerikanern auf dem Mond zu landen. Mattel hatte entdeckt, dass die Töchter der zweiten Frauenbewegung neue Rollenmodelle brauchten. Barbie wurde Olympia-Medaillen-Gewinnerin, Flower-Power-Girl, Aerobic-Trainerin, Rock-Star mit eigener Band, Formel I-Fahrerin, Firefighter, Zahnärztin und Pilotin im Golf-Kriegsjahr 1989 zeitgleich Sergeant der US-Army und Unicef-Botschafterin – alle Türen öffneten sich der makellosen Schönheit.

Dieses Prinzip der saisonal wechselnden Berufsorientierung verfolgt Mattel auch im neuen Millenium weiter. https://www.barbiemedia.com/timeline.html

 

hier "Art Teacher", 2002

 

Nur "Arbeitslose" oder "Sozialhilfeempfängerin" wurde sie nie. (Dabei wären die "An-apple-a-day"-Bildungsaccessoires in diesem Fall bestimmt sehr aufschlussreich gewesen.)

Um den Milleniumswechsel zeichnete sich gesamtgesellschaftlich ein Paradigmenwechsel ab. Arbeitsknappheit war nicht mehr ein Problem der Wohlfahrtssysteme. Stattdessen griffen die Mechanismen der New Market Economy. Es folgte die Erkenntnis, wie bedeutsam Kreativpotentiale sind – nicht nur für das (Er-)Finden individueller Lebensläufe oder gar (Selbst--)Beschäftigungsstrukturen, sondern auch als wertvolle Ressource für ganze Branchenentwicklungen. Lebenswege von Künstlern und Künstlerinnen wurden zur Inspirationsquelle für Politik und Wirtschaft – und Barbie wurde Teil der Kreativen Klasse.

Die Milleniumsserie der „Generation Girls“ bestand aus einer kleinen Clique, der neben „Marie“, der Malerin, auch Barbie, die Filmemacherin, eine Songschreiberin, zwei Sportlerinnen und eine Modedesignerin angehörten.

 

 

Kästen in Arbeit im Atelier

Outfit "Florine Stettheimer" und Vorlage

 

2015 – "Hello Barbie": Sprechende Barbies hat es schon gegeben, mit so vielsagenden wie vorbildhaften Plattentexten wie "Math is hard!". Auch eine Guerilla-Kunstaktion der Barbie Liberation Organisation, bei der die Sprach-Chips in GI-Puppen manipuliert wurden zu Aufforderungen, lieber shoppen als killen zu gehen. (http://rtmark.com/bloscript.html, http://en. wikipedia. org/wiki/Barbie_Liberation _Organization)

Auf der Spielwarenmesse in New York im Februar 2015 hat Mattel die "Hello Barbie" vorgestellt, die mit Lautsprecher und Voice Recorder ausgestattet und wlan-fähig ist. So kann Barbie zukünftig als beste Freundin ein "echtes" Gespräch führen. Die Beiträge der Spielerin werden an die Server von Mattel übermittelt und dort Antworten generiert. In Europa wird diese Puppe voraussichtlich nicht vermarktet werden.

2016: "Wir haben die Verantwortung, Mädchen und Eltern eine breitere Auffassung von Schönheit zu präsentieren.", zitiert die Süddeutschdeutsche Zeitung die Mattel-Sprecherin, als die neue Serie Barbie-Puppen eine größere Diversität an Körpermaßen widerspiegelt. Wo bleiben die bärtigen Frauen?

2018: Für Streit mit den Frida-Kahlo-Erben sorgt die Vermarktung einer Serie von 19 Puppen, die sich nun – anders als noch mit dem Astronautinnen-Outfit von 1965 – konkret abbildend an realen berühmter Frauen unterschiedlicher Genres und Zeiten bedient.

2023: Der "Barbie"-Film von Greta Gerwig feiert weltweiten Erfolg als vermeintlich feministischer Grundkurs. Ich persönlich finde, dies ist eine verpasset Chance.

 

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